Die heutige Walking – Tour führte mich zum Hauptfriedhof in der Innenstadt, der ganz anders aussieht als bei uns. Auf den Gräbern steht nur ein Datum: das Sterbedatum, das gleichzeitig das Geburtsdatum in ein neues Leben bedeutet.

Jedes Grab ist individuell gestaltet und dort befinden sich auch Lieblingssachen der Verstorbenen, die er/sie im nächsten Leben gebrauchen könnte. Wir haben viele kleine Cola- Flaschen oder Alkohol gesehen. Die Särge befinden sind nicht in der Erde sondern in einer Mauer und die Familie ist dafür verantwortlich das Grab zu putzen und zu dekorieren, man bekommt quasi nur ein Betonloch gestellt. Die Gräber sind recht klein, so dass früher Kinder für das Putzen verantwortlich waren. Mittlerweile ist Kinderarbeit zwar verboten, aber jeder, egal wie alt, hat ein Recht auf arbeiten, auch Kinder… Der Friedhof in La Paz hat allerdings Kinderarbeit verboten.

Zurück zu den Gräbern; wenn der Verstorbene Geburtstag hat, wird schon mal das Grab mit Luftballons dekoriert und ich fand sehr viele liebevoll und persönlich gestaltete Gräber mit schönen Botschaft wie ” ich liebe dich Mama” oder “Danke Papa” und Herzchen. Es gab einen Bereich für die verstorbenen Kinder. In diesen Gräbern befinden sich kleine Spielsachen und viele solarbetriebene Spielzeuge, die dann hin und her wackeln. Menschen singen oder spielen Gitarre vor den Gräbern, es herrscht eigentlich eine fröhliche Atmosphäre. Unser Guide sagte, dass wir ruhig auch Fotos von den Gräbern machen können, da die Familien sehr gerne ihre Erinnerungen mit anderen teilen.

Viele Frauen heißen hier Claudia

Normalerweise bleibt ein Toter 5 Jahre auf dem Friedhof aber viele Familien lassen die Toten dort länger. Aber eigentlich glauben die Menschen, dass man nach 5 Jahren alles was der Tote besessen hat, Kleidung, Möbel usw verschenken/verbrennen/wegwerfen sollte, damit der Tote nicht in unserer Welt gefangen ist. Falls die Familie den Toten vergisst und die Grabmiete nicht zahlt, wird der Tote eingeäschert und auf dem Friedhof irgendwo begraben. Ansonsten wird der Sarg nach 5 Jahren der Familie zurück gegeben, die den Toten einäschern kann.

Wenn die Familie weder die Miete bezahlt noch sich sonst um den Toten kümmern, kann dieser Tote zu einer Natita werden. Der Totengräber trennt den Kopf einfach so ab wie er ist und die Person, die eine Natita möchte, kann ihn gegen Bezahlung adoptieren – sonst wäre es Menschenhandel und illegal. Die Person nimmt dann die Natita mit nach Hause, baut einen Altar, verdeckt die Augen mit Blumen/Watte/Sonnenbrille (sonst können böse Geister ins Haus kommen), bringt ihr täglich Opfergaben in Form von Cocablättern, Alkohol, Zigaretten, betet zu ihr und sie passt dann auf das Haus auf, aus Dankbarkeit, dass sich jemand um diese vergessene Seele kümmert.

Sobald man eine Natita hat, muss man sich lebenslang verpflichten sich um sie zu kümmern, sonst bringt es Unglück – oder man findet eine andere Person, die die Natita weiter adoptiert. Auch die meisten Schamanen haben eine Natita in ihrem “Büro”. Am 8 November ist der Tag der Natitas. Dann bringen alle ihre Natitas zum Friedhof, dekorieren sie schön und andere Leute können sie ausleihen. Wenn man zum Beispiel einen Gerichtsprozess gewinnen möchte, geht man zum Friedhof und fragt so lange rum, bis man eine Natita gefunden hat, die in ihrem früheren Leben ein Anwalt/eine Anwältin war. Dann bringt man ihr Opfer usw. und sie hilft einem mit deinem Problem. Manche Leute gehen total auf in ihrem Natita-Kult, sie kriegt Fake Zähne, eine Perücke, Mütze wenn es kalt wird. Unsere Guide erzählte uns, dass eine Dame bis zu 90 solcher Schädel besitzt.

Unsere Guide hat uns auch über die Traditionen am 1.11 erzählt: man backt viele verschiedene Brote (z.B. in Treppenform, damit die Geister kommen und wieder gehen können/ in Lamaform, damit die Geister die Geschenke auch transportierem können + ein Brot in Menschenform für jeden den Verstorbenen) und kocht die Lieblingsspeise des Verstorbenen, stellt Alkohol und Süßigkeiten bereit und Bilder des Verstorbenen. Am Ende isst man das zusammen, so dass der 1.11 -2.11 ein Familienfest ist.

Was wirklich ziemlich traurig war, war das kleine Gartenstück wo die Corona-Toten begraben bzw. eben nicht begraben sind. Diese Menschen sind alle 2020 gestorben und das Krankenhaus hat die Angehörigen nicht zu den Sterbenden gelassen und die Toten auch nicht einzeln sondern alle zusammen eingeäschert und die Asche auch nicht herausgegeben. Daher haben die Angehörige keinen Körper des Toten. Sie durften aber einen kleinen Erinnerungsstein oder ein Kreuz aufstellen.

Das ist der Garten für die Corona-Toten.

Die Stadt La Paz erlaubt übrigens auch Graffitikünstler auf dem Friedhof und veranstaltet jedes Jahr einen Wettbewerb, um dann den besten Künstler zu finden, der sich auf dem Friedhof verewigen darf. Das Bild muss was mit dem Thema “Tod/Übergang” zu tun haben und mittlerweile machen auch Künstler aus dem Ausland mit.

Ayahuasca – ein Reinigungsritual

Nach dem Besuch des Friedhofs sind wir wieder zum größten Markt in Südamerika (nach Mexiko) gefahren in El Alto. Wir haben über die Entstehung der Stadt El Alto gelernt und sind auch zum Hexenmarkt in El Alto gegangen. Wir haben nicht nur Lamaföten sondern auch Schweineföten (Geldsegen) oder getrocknete Frösche gesehen. Danach sind wir in die Straße des Schamanen gelaufen. Allerdings arbeiten die Schamanen Montag-Freitag in der Stadt und am Wochenende sind sie oft in den Dörfern. Die Schamanen praktizieren meistens nur gute Magie, für schwarze Magie muss man richtig viel zahlen, da sie sagen, dass das Böse, das sie praktizieren, auf sie zurückfallen wird und sie wenigstens finanziell dafür entlohnt werden möchten. Man kann sich die Zukunft aus Cocablätterm lesen lassen aber nur wenige Schamanen arbeiten mit Touristen. Die sagen, vermutlich zurecht, dass die Touristen nicht daran glauben und sich nur lustig machen möchten. Da sowieso wenige Schamanen am Sonntag arbeiten, konnten wir uns also nicht die Zukunft aus Cocablätterm lesen lassen ?.

Das ist ein “Büro” eines Schamanen
Hinter jeder Tür ist Montag-Freitag ein Schamane. Viele haben Opfergaben vor ihrer Tür

Die Schamanenstrasse befindet sich in der Nähe einer Christusstatue und man könnte einen Zusammenhang zwischen der Schamanenstrasse und der Statue vermuten und da ist auch einer. Unter der Statue befindet sich ein Huaca, das ist ein heiliger und energetischer Ort für die indigene Bevölkerung. Von dort kann man angeblich besser mit Pachamama sprechen und wenn man ihr an einem Huaca Opfergaben bringt, dann kann man besser mit ihr kommunizieren. Daher haben die Schamanen ihre “Büros” in der Nähe der Huaca. Die Spanier haben dann natürlich alle Huacas auslöschen wollen und Statuen von Jesus oder anderen Heiligen drauf gebaut.